Ein Brief aus dem Jahr 1905
Ja, meine lieben Geschwister, nicht bloß leere Phrasen möchte ich euch geben, sondern ernste und liebevolle Ermahnungen, zu kämpfen gegen alle unreinen Begierden der Liebe zu Gott und den Menschen.
Nach den vielen Erfahrungen, die ich und tausend andere schon gemacht haben und von denen der geistig Geweckte fest überzeugt ist, hat jeder Mensch eine unsterbliche Seele, die in Verbindung mit dem Nervengeist den Körper beherrscht und eine ätherähnliche Substanz ist, die den Körper durchdringt wie Wasser den Schwamm.
Wie sich jedoch der Körper eines Kindes erst zu größeren Fähigkeiten entwickelt, so entwickelt sich auch die Seele, um die in ihr schlummernden Kräfte richtig gebrauchen zu können. Da aber der Mensch in Bezug auf seine Gedanken und sein Wollen freien Willen hat, so kann er die Richtung selbst bestimmen, nach welcher er sich ausbilden will. Je mehr Ernst und Eifer er hat, desto mehr wird er Meister in seinem Fach.
Kommen Versuchungen, und er gibt sich einer Leidenschaft willenlos hin, so wird dieselbe immer stärker, bis sie seiner Herr ist und den Körper und die Seele zu Grunde richtet. Bekämpft aber der Mensch jede Leidenschaft und strebt nur nach Gutem, nach Liebe und Wahrheit, so wird er immer zufriedener, glücklicher und gottähnlicher werden. Die Seele wird endlich Meister höherer Kräfte und Fähigkeiten. Eine ganz reine Seele ist ein lebendiger Spiegel, in dem sich alles klar abspiegelt, was sie wissen will. Daher auch die Viel- oder Allwissenheit Christi und anderer, gottähnlicher Menschen.
Der Mensch ist ein lebendiger Filtrierapparat. Von dem, was er isst und trinkt, bleiben diejenigen Substanzen in ihm, die derjenigen Eigenschaft, Tugend oder Untugend, entsprechen, die ihn noch am meisten beherrscht. Der Körper ohne die Seele wäre tot; nur die Seele fühlt, sieht, riecht und so weiter durch die äußeren Sinneswerkzeuge. In unvollkommenem Zustande fühlt sie die üblen Folgen einer Leidenschaft nach des Leibes Tode viel mehr als zuvor; wohingegen jene Seele, deren ganzes Streben Vollkommenheit und Gottähnlichkeit war, ein viel höheres Glücksgefühl in sich spürt, wenn sie von ihrem Fleische getrennt ist.
Zornige Seelen fühlen nach dem Tode eine schreckliche Hitze, lieblose eine ebensolche Kälte. Hochmütige sehen vor sich riesige Berge, die sie übersteigen müssen. Schlechte und Sinnliche sehen sich in tiefstem Schmutz und Morast, aus dem sie nicht mehr herauskommen können. Träge und Denkfaule fühlen eine schreckliche Müdigkeit, Mörder und Selbstmörder sehen sich als Totengerippe oder in Tiergestalt.
Dieser Zustand dauert jedoch nicht ewig, sondern nur so lange, bis solche Seele in sich selbst zur Erkenntnis kommt, ihre Taten bereut und sich bessert, was aber im Jenseits oft sehr lange dauert. Nur wahre Gottes- und Menschenliebe, Geduld und Zufriedenheit kann sie von ihrem Leiden erlösen und ihr ein glückseliges Gefühl bringen, das sich mehr und mehr steigert, je mehr sie im Guten tätig ist.
Darum, o Menschenkinder, bedenkt: Ihr schadet euch nur selbst, wenn ihr hochmütig, zornig, geizig, rachsüchtig und lieblos seid! Wenn ihr auch vor der Hand scheinbar einen Vorteil erlangt, so wisst ihr doch nicht, ob ihr nicht schon in der nächsten Stunde von der Erde gerissen werdet.
Schränkt euch in euren sinnlichen Genüssen so viel wie möglich ein, damit ihr Mittel und Kräfte gewinnt, gute Werke zu stiften und Bedürftigen zu helfen. Im Geisterreiche gelten alle Titel und Orden nichts; ob arm, ob reich, Bettler oder Kaiser, Priester oder Papst, Herr oder Knecht, keiner ist mehr als der andere, nur einer ist Herr, und das ist Gott; und glücklich ist derjenige, der sich Christi Leben und Handeln zum Vorbild nahm.
Durch Wohltun und Liebe sammelt sich der Mensch eine geistige Kraft, die er mit hinübernimmt ins Jenseits. Je stärker diese Kraft ist, desto schöner gestaltet sich dort sein Leben, seine Umgebung. Alle irdischen Schätze, allen Luxus muss er ja hier lassen.
O wie gut und gerecht ist Gott, der heilige Vater! Was am meisten bedrückt, von der Welt verachtet und für dumm angesehen wird, das hebt er empor aus dem Staube, und der berühmteste und gefeiertste Gelehrte ist nichts vor ihm, so er nicht Gott lieben gelernt hat.
Zu bedauern ist, dass nicht bloß verschiedene Sekten, sondern auch Spiritisten und Theosophen, statt vereint die Wahrheit zu suchen und Gott darum zu bitten, einander oft geringfügiger Meinungsverschiedenheiten halber bekämpfen. So auch mit der Lehre der Wiederverkörperung. Meine Ansicht ist von jenseitigen Freunden bestätigt worden. Da die Menschen alle verschiedene Charaktere und Leidenschaften haben, so müssen auch verschiedene Führungen sein. Gott lässt nun jedem Menschen in Bezug auf seine Gedanken und sein Streben eine gewisse Freiheit, so dass jeder nur durch eigene Erfahrung wahrhaft überzeugt werden kann, und so können wir nie für alle Menschen gleiche Regeln und Gesetze aufstellen. Denn wie zu einer Stadt aus ihrer Umgebung verschiedene Wege führen, so hat auch Gott verschiedene Mittel und Wege zur Führung des Menschengeschlechts.
Obwohl ein Mensch in seinem Leben nicht auslernt, so ist doch damit nicht gesagt, dass er alle Verhältnisse auf Erden im fleischlichen Körper durchmachen muss. Er kann als Geist geradeso gut und noch besser lernen und sich vervollkommnen, wenn er nur will. Es kommt nur auf den jeweiligen Erkenntnisgrad und Willen des betreffenden Geistes an
Kommt zum Beispiel ein Reicher, der sein Leben lang nichts Gutes getan hat und nur an seinen irdischen Schätzen und Genüssen hing, nach seines Leibes Tode in der Geisterwelt zufolge dem unabänderlichen göttlich-geistigen Naturgesetz von seinem Luxus hinweg in die tiefste Finsternis, so wird er sich auf die Erde zurücksehnen und mit aller Gewalt den Wunsch haben, ganz reich zu sein. So aber dieser eine Wunsch alle anderen übersteigt, und sie sich im Jenseits nicht belehren lassen, so wird er ihnen gewährt. Doch werden sie so geführt, dass sie die Vergänglichkeit alles Irdischen genügend kennen lernen. Daher so manche Schicksalsschläge, die den Menschen scheinbar unschuldig treffen.
Beweise gibt es, dass manche Menschen schon öfter auf dieser Erde gelebt haben, aber ein Muss ist dieses nicht, und darüber zu streiten ist zwecklos, da es nicht durchaus nötig ist, solches zu wissen, sondern es ist nötig, zu leben nach Christi Lehre, alles andere wird uns nachher schon klar werden.
Ein Funken Liebe ist mehr wert als ein ganzer Berg voll Weisheit oder Wissen. Doch soll aus der Liebe die rechte Weisheit hervorgehen und sich mit der Liebe vereinen, denn die Liebe allein ist blind.
Auch möchte ich diejenigen warnen, die in Beziehung auf spiritistische Kundgebungen noch nicht klar sehen - die an vielen Orten auftauchenden Vatermedien betreffend -, wo es heißt: Jesus Christus selbst oder ein anderer hoher Geist ist es, der durch das Medium spricht; weil dadurch schon manche Schwindeleien vorgekommen sind (Matthäus 24,24). Denn wie es Menschen gibt, die ihr Leben lang nur schwindeln und lügen, so gibt es auch Geister, die dasselbe tun, was ihnen aber in jener Welt nicht so gut gelingt, da bessere Geister sie sofort durchschauen. So versuchen sie ihr Heil bei solchen Medien, die es selbst mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, und nur zu oft gelingt es ihnen, blindgläubige Seelen in ihre Netze zu locken. Wenn aber die Betrogenen zur Einsicht kommen, so verwerfen sie oft alles und glauben gar nichts mehr, statt darüber nachzudenken, dass sie selbst Schuld haben, dass sie betrogen worden sind, weil sie auf äußere und weltliche Dinge mehr achteten als auf die innere Stimme der Wahrheit oder das Wort materiell nahmen statt geistig. Denn in jedem Menschen ist ein Funken von Gott, und wer ernstlich den Gottesgeist bittet, ihn auf den rechten Weg zu führen, der wird nie oder selten auf lrrwege gelangen.
Leider glauben auch viele Menschen, dass die Geister im Jenseits schon vollkommen sind, und halten ihre Aussprüche für heilig und unfehlbar, so wie man schon auf Erden die Aussprüche und Lehren Höhergestellter (zum Beispiel den Papst) für unfehlbar hält. Da muss ein jeder nun auf die innere Stimme achten, die ihm genau sagt, ob das Gehörte echt oder unecht ist.
Wer die felsenfeste Gewissheit hat, dass der Geist Gottes auf seiner Seite steht, kommt zur rechten Erkenntnis und Einsicht. Dazu helfe uns der dreieinigstarke Gott!