Von Siegrun Mauske
Das Gebet ist eine Kraft, ein Schutz, ein Händedruck mit Gott, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde und zum Licht; zumindest Beruhigung und Aufrichtung wird dem Gebet auch von Nichtgläubigen zugesprochen.
In einer weisen Bibelstelle schrieb Paulus an die Epheser:
„Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichtes; und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Und betet stets in allem Anliegen mit Bitten und Flehen im Geist, und wachet dazu mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen und für mich, auf dass mir gegeben werde das Wort mit freudigem Auftun meines Mundes, dass ich möge kundmachen das Geheimnis des Evangeliums, dessen Bote ich bin in der Kette, auf dass ich darin freudig handeln möge und reden, wie sich’s gebührt.“
Zunächst haben wir alle mit Gott eine Art Vater-Kind-Beziehung und in ihm eine Adresse, an die wir uns in Freud und Leid mit dem vertrauensvollen Du wenden können, und das in jeder Situation. Gott hat alle seine Kinder lieb, er ist der gute Hirte, der mit ausgebreiteten Armen für uns da ist. Es verschwinden nicht sofort alle Sorgen, aber der Herr ist bei uns. Auch steht der Wunsch Jesu da: „Betet und wachet, auf dass ihr nicht in Anfechtung fallet!“
So wollen wir uns von Herzen der Bitte der Jünger anschließen: „Herr, lehre uns beten!“ Wir rufen die höchste Instanz an, die es auf dieser Welt gibt. Das Gebet ist und bleibt das Einmaleins der Christen. Wir müssen es beherrschen, damit sich schwierige Aufgaben bewältigen lassen, aber auch, um mit dem Zweifel umgehen zu können: Hat das Gebet geholfen, oder wäre es auch so gut geworden? Es gibt Erlebnisberichte, wie bei einer Gebetsverordnung und einem einsetzenden Zweifel daran eine Besserung einer Krankheit zunichte gemacht wurde. Das spiegelt sich auch in den Worten wider, die Martin Luther sagte: „Beten gehört zum Handwerk des Christen!“ Auch Handwerkszeug will benutzt und gepflegt werden, damit es parat und gebrauchsfähig ist in den Situationen, wenn es darauf ankommt. Das Gebet soll die Kraft sein, die in uns wohnt, die unsere Entscheidungen lenkt. Es soll der Maßstab sein für alle Gedankengänge und Lehren, die über diesen Stern gehen, ein Prüfstein für die eigenen Worte, eine Art Besen, der Ungutes auskehrt.
Diese Wirkungen hängen ab vom Gottvertrauen. Jemand hängt am Abgrund und kann gerade noch einen Ast greifen. Er ruft Gott an und betet. Der gibt zu verstehen, dass er schon oft geholfen habe, aber das Versprechen, für Gott, den Glauben, den Nächsten einzustehen, ist immer schief gelaufen. Nein, diesmal bestimmt nicht! Daraufhin spricht Gott: „Dann lass los, ich fange dich auf.“ Die Antwort: „Ich bin doch nicht verrückt!“ Dabei war das doch die Rede von unserem Vater, und doch ist das Ergebnis mangelndes Vertrauen.
Über das Gebet – das ist das Großartige – wird jeder in eine Aktivität genommen. Er kann sich mit der Gemeinschaft verbinden und Fäden zum himmlischen Vater spinnen, aber auch alles irdische und praktische Tun begleiten. Das Beten kann eine Schwerstarbeit sein. Es ist wichtig, bei Bauten, Feldern und Unternehmungen das Gebet zum Grundstock zu machen, damit Gottes Segen präsent sein möchte. Gebet und Arbeit sind ein immerwährender Übungsstand, gehören zusammen und sollen zu einem Gottesdienst werden.
Es geht aber auch darum, mit dem Vaterunser ein Schwert in die Hand bekommen zu haben, um damit Geister zu scheiden, Gedanken zu trennen. Da heißt es: Denke gut vom anderen, denke überhaupt an den anderen, und es werden heilsame, spürbare Ströme auf den Weg gebracht – Beten als Liebesdienst, wodurch Lasten geteilt werden. Wer könnte es nicht nachvollziehen, dass so Gedankengänge parallel laufen und damit ein aufgeschlossenes Herz in der größten Entfernung darüber wahrhaftig zu erreichen ist? Gerade die Welt der Gedanken, die da lose um uns herumschwirrt, können und dürfen wir nicht unterschätzen; Gedanken belagern uns förmlich, positive wie negative. Ungute Gedanken sind wie dunkle Vögel, die uns umkreisen und auf einen Moment warten, dass sie nisten können. Das gilt es zu verhindern, und genau das können wir mit der geistigen Waffe des Gebets.
Wie schnell verselbstständigen sich Gedanken, werden zu einem Wort, zu einer Tat, zu einer Handgreiflichkeit. Es bedarf nur gewisser Geneigtheiten, Schwächen oder Leidenschaften, die von den unguten Gedanken zu einer Einflugschneise genutzt werden können, um uns dann zu bedrängen und zu beherrschen. „Gedanken sind Gewalten, sind Gestalten.“ – Eine einfache Wahrheit unseres Meisters Joseph Weißenbergs. Schon ein Vorurteil, ein verleumderischer Gedanke kann wie ein geistiger Totschlag wirken. So darf das Gebet Waffe und Schutz zugleich sein. Ein Schutz, den wir wie eine Art Wall aufziehen, um Ungutes nicht einzulassen.
Wir finden über das Gebet auch zur Ruhe und erhalten Antwort auf so manche Frage, weil Stille einkehrt und eine Geistigkeit umgepolt werden kann. Das Vaterunser wird zu einem ganz entscheidenden Fundament gläubiger Menschen, von dem die unterschiedlichsten Wege durch das Leben gehen können, und es bleibt die belastbare, tragfähige Verbindung von einem zum anderen. Wir können das Vaterunser wie Leitplanken begreifen, die einen Weg begrenzen; und wenn ein wenig Licht auf diese Seitenmarkierungen fällt, strahlt etwas zurück und der Weg wird hell und übersichtlich. Wer bräuchte nicht so einen Hinweis im Durcheinander unserer Gedanken und all der Einflüsse auf dem Lebensweg?
Im entscheidenden Moment, wenn es darauf ankommt, gilt es, das Gebet parat zu haben, wenn Worte aufeinanderprallen, Gedanken aufeinanderfließen und alles zu eskalieren droht. Durch das Gebet hat dann das Böse in dem Moment keine Chance; und unter eine Situation kann ein Punkt gesetzt werden. Nicht, dass die Lösung gleich da wäre, aber man kann dann neu anfangen. Wir können aber auch ungute Gäste, die sich schon eingenistet haben, darüber unseres Hauses verweisen.
Denken wir an unsere Leidenschaften. Es gibt ja viele, ob es Eitelkeit, Eifersucht oder dergleichen mehr sind. Die Geister, die an diesen Leidenschaften hängen, machen sich so richtig breit in unserem Herzen und in unserer Seele, und auf diesem unguten Nährboden sammelt sich immer mehr an. Wenn es uns dann gelingt, diese Geister aus unserem Haus zu vertreiben durch die Kraft der Gebete, dann müssen sie weichen und durchwandern dürre Stätten. Das sind dann jene, die auf einen schwachen Moment lauern, um uns wieder zu überfallen, und sie kommen dann meist mit noch ärgeren Gesellen.
Bei Leid und Krankheit ist das Gebet Trost und Halt. Auch beim Sakrament der geistigen Heilung wird erst der Heilgeist mit dem Gebet gerufen, um zu wirken, zu lindern, alles erträglich zu machen, zu erlösen. Wir sind darum gut beraten, wenn wir des Morgens mit dem Gebet starten, um dem Tag eine gewisse Richtung zu geben, damit uns nicht der Morgenmuffel vereinnahmt und den Tag welken lässt, ehe er überhaupt begonnen hat, damit wir die guten Kräfte als Helfer und Begleiter rufen. Genauso sollte des Abends ein Tag mit der gemeinsamen Feierstunde beendet werden. Auch da sind manche Überwindungsarbeiten nötig, denn der Tag bringt viele Höhen und Tiefen, da gibt es auch Konfrontationsstimmungen, und da heißt es, den ersten Schritt der Überwindung zu tun, um sich vernünftig im Gebet zu versammeln. Da, wo zwei oder drei ehrlich versammelt sind, ist der Herr gegenwärtig, und man kann ihm alles antragen, jedoch nicht mit einer Forderung per Knopfdruck.
Wenn unsere Meinung verfestigt ist, wir nicht offen und aufnahmebereit sind, wie soll uns dann Gottes Licht erreichen und vielleicht Wunderbares auf den Weg bringen? Nein, Herr, dein Wille geschehe! Denn: Millionen von Gebeten werden nicht erhört, jedoch vermag des Gerechten Gebet viel, jenes, das von Herzen kommt. Wir wollen das Gebet nicht missbrauchen, nicht immer nur plappern, sondern bitten und flehen und den Worten Kraft zutrauen. Der Herr schaut das Herz dabei an, mit dem man erst recht gut sehen kann. „Ich weiß, mein Gott, dass du das Herz prüfest, und Aufrichtigkeit ist dir angenehm“, denn: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein.“
Verschüttetes wird beim Gebet wieder freigelegt. Es wirkt als eine Art Sprengkraft, die Erinnerungen und Erlebtes wieder wachruft. Viele dürfen sich an die Kindheit und daran erinnern, dass das gemeinsame Gebet immer einen festen Platz im Ablauf des Tages hatte. Da blieb vor allem auch das Gefühl der Gemeinsamkeit, der Gemeinschaft. Die Eltern beteten mit einem als Kind, das war wichtig, man fühlte sich geborgen. Dann konnte man das Gebet schon fragmenthaft mitsprechen, ohne alles zu verstehen. Es war etwas Wohltuendes, dieses Gefühl blieb. Dann verstand man die selbst gesprochenen Worte und hatte Erfahrungen im Umgang damit gesammelt. Sich hinter die Worte des Gebetes zu stellen, dazu zu stehen, war der nächste Schritt, bis dahin, dass es ein Herzensbedürfnis wurde. An die beschützende Stelle der Eltern trat der himmlische Vater, dessen Führen man auch erleben durfte. So manchen ist dieses verlorengegangen, was für andere eine Fortsetzung guter erlebter Augenblicke blieb. Aber vielleicht bringen Situationen die Erinnerung an solch Erleben wieder und es wird geweckt, was verloren schien: die wache Erinnerung an Kindertage als Triebfeder.
Es tut unserer Zeit auch gut, überhaupt einmal ehrlich zu bitten und zu danken. Dankbarkeit ist wie ein Schutzmantel für die Seele. Aber wer kann das heute in der Zeit des Anspruchs und der Forderungen? Unser täglich Brot gib uns heute! Wer bittet um das Brot? Es wandert ganz leichtfertig irgendwo in die Mülltonne. Tonnenweise werden Lebensmittel entsorgt. Es wird damit die Arbeit des Landmannes genauso geschmäht wie die Kraft, die der Herr schenkte, damit Saat, Früchte und Getreide heranwachsen. Ganz abgesehen von all dem Hunger und Elend, ganz abgesehen davon, dass man auch nach dem Brot des Lebens, nach der geistigen Speise fragen müsste.
Jener wichtige Satz: „Vergib uns unsere Schuld“, heißt auch, wir sollen zum Vergeben bereit sein, immer wieder Vertrauen einräumen und voller Verständnis auf den anderen, gerade auf den anderen, zugehen. Das Gebet darf wie ein Keil sein, der einer Aufgabe, einem Gang vorweggeschoben wird; ein Keil, der licht ist und eine Bresche in das Finstere oder was sich festgefahren hat, hineintreiben kann. Es geht aber noch um viel mehr.
Da sagt das Vaterunser: Bewahre uns überhaupt vor dem Bösen! Lass uns so wachsam sein, dass wir gar nicht erst zum Spielball einer unguten Geistigkeit werden! Und noch ein Schritt davor: Führe uns nicht in Versuchung! Lass uns nicht all den Verlockungen, dieser schillernden Farben erliegen! Die Sprache der anderen Welt klingt auch sehr schön und hat viele Versprechungen parat. Aber davor möge uns der Herr bewahren. Wird richtig gebetet, so bleibt der Segen nicht aus.
Wenn wir sagen, dass „Sein Reich kommen“ möchte, dann heißt das: Ja, Herr, du sollst in mir Wohnung nehmen. Ich möchte deine Gesetze immer mehr begreifen und erfüllen lernen. Wir setzen laufend das „Amen“ unter diese Worte, und „Amen“ heißt: So sei es!
Der Apostel Paulus schreibt dazu den Kolossern: „Haltet an am Gebet und wachet in demselben mit Danksagung, und betet zugleich auch für uns, auf dass Gott eine Tür des Worts auftue, zu reden das Geheimnis Christi, darum ich auch gebunden bin, auf dass ich es offenbare, wie ich sollte reden. Wandelt weise gegen die, die draußen sind, und kaufet die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt.“
Eigentlich werden wir am Tag sehr viele Male meineidig und begeben uns in die Rolle eines anderen Werkzeuges, anstatt der Verkünder Gottes Evangeliums, Gottes froher Botschaft zu sein in allen Lebenslagen. Es soll so weit kommen, dass wir dieses vornehmste Gesetz, das diese Welt kennt, erfüllen: Seinen Nächsten, wie sich selbst zu lieben. „Ein neu Gesetz gebe ich euch; tut es, wie ich es euch getan habe.“ Aber dazu muss ein neuer, besserer Geist in uns auferstehen, beginnend mit einer völlig neuen Denkungsart, mit gereinigten, vom Gebet gefilterten Gedanken, die unsere Worte und unser Verhalten durchdringen. Nur dann kann Gottes Licht greifen, und wir empfinden eine Wohligkeit, die sich auf andere überträgt, denen wir dann auch Hilfe, Trost, ein Zuhören anbieten können. Seelentrost, darum geht es bei der Erdenwanderung, darum, dass wir unsere Gedanken und Gotterfahrungen, Wahrheiten, Sichten austauschen und zusammentragen, weil die Vielfalt Reichtum und Horizonterweiterung bedeutet. Er in uns und wir in ihm.
Ja, der Herr ist Geist, und die ihn anrufen, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anrufen, so kann der Funke Gottesgeist in uns erreicht und sogar wieder freigelegt werden. Und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, da ist Frieden, anders als ihn diese Welt definiert. Danken wir dem Herrn, und werden wir frohe Verkünder seines Evangeliums, und greifen wir weiterhin nach dem Schild des Glaubens, mit dem wichtigen Vaterunser, dieser Brücke von mir zum himmlischen Vater, aber auch von mir zu dir. Mit der Bitte um Gnade, Kraft, Weisheit und Verstand vor dem Gebet des Gottesdienstes, welche für das Leben und Zusammenleben von Bedeutung ist oder auch das Gebet um Frieden in uns und der Welt erkennen wir: Beten bleibt eine Herzensangelegenheit. Es ist die Kraft, die in uns mächtig sein will. Zu allen Zeiten gab und gibt es Beispiele, wo Gebete erhört wurden, wo diese Kraft und Trost waren, wenn beten ein Bitten war.