Von Rainer Gerhardt
Mitglieder und Freunde der Johannischen Kirche in Blankensee gedachten kurz vor Jahresfrist des 100-jährigen Bestehens der Friedensstadt Weißenberg nahe Trebbin. Dieses Siedlungswerk spiegelt in ganzer Tragweite die Entwicklungen, Verwerfungen, Katastrophen aber auch Hoffnungen und Möglichkeiten wieder, die gerade auch Brandenburg in dieser Zeit geprägt haben.
Der Religions- und Sozialreformer Joseph Weißenberg (1855–1941) und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter legten am 19. Dezember 1920 den Grundstein für das erste Wohngebäude eines Siedlungswerkes, das seitdem den programmatischen Namen „Friedensstadt“ trägt. Nach den katastrophalen Erlebnissen des Ersten Weltkrieges und als Gegensatz zur Massenverelendung in den Berliner Mietskasernen entstand am Fuße der Glauer Berge eine Genossenschaftssiedlung, in der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft Wohnraum, Arbeit und einen Halt für ihr Leben finden konnten – in christlicher Gemeinschaft.
In nur 15 Jahren wurde auf märkischem Sandboden eine Heimstatt für 400 Menschen errichtet, trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise. Die Friedensstadt verfügte 1935 über eine moderne und ausbaufähige Infrastruktur, über ein vorbildliches Altersheim und nannte eine beliebte Gastronomie ebenso ihr Eigen wie unterschiedliche Wohnraumformen. Die Bewohnerinnen und Bewohner entwickelten eine florierende Landwirtschaft und versorgten sich mit Gärten und Stallungen weitgehend selbst.
Das letzte eingeweihte Gebäude war 1934 eine Schule, doch über deren Turm wehte bereits die Hakenkreuzfahne. Die Nationalsozialisten setzten dem genossenschaftlichen Siedlungswerk ein jähes Ende, 1935 wurde die Johannische Kirche (damals Evangelisch-Johannische Kirche nach der Offenbarung St. Johannes) verboten, Joseph Weißenberg und enge Mitarbeiter verhaftet und in Schauprozessen verurteilt. Die Friedensstadt wurde von der Waffen-SS besetzt und deren Bewohner nach und nach vertrieben.
Das Ende des Krieges erlebten auch die Mitglieder der Johannischen Kirche als Befreiung vom Nationalsozialismus und Möglichkeit, ihr religiös-soziales Wirken wieder aufnehmen zu können. Es war ein Offizier der sowjetischen Besatzungsmacht, der das große Gotteshaus zurückgab – mit den Worten: „Beten Sie auch für Russland!“
Die benachbarte Friedensstadt blieb indes von der Sowjetischen Armee als Garnison bis 1994 besetzt. Kurz vor seinem Tod in schlesischer Verbannung gab Joseph Weißenberg 1941 seiner Tochter und Nachfolgerin Frieda Müller (1911–2001) mit auf dem Weg: „Wir bekommen alles wieder, aber lass dir die Zeit nicht lang werden.“ Diese Worte wurden für johannische Christinnen und Christen zu einer unerschütterlichen Zuversicht, eines Tages wieder in die Tore der Friedensstadt einziehen zu können.
Ansatzweise war dies Dank privater Freundschaftsbande möglich. Wieder war es ein sowjetischer Offizier, der den ersten Besuch von Kirchenoberhaupt Frieda Müller und ihrer Nachfolgerin Josephine Müller (1949–2019) in der Garnison ermöglichte. Aus gegenseitiger Achtung entstand Vertrauen. Da die Genossenschaftler 1944 den Nationalsozialisten mutig den Verkauf der Siedlung verweigert hatten, war die Rechtslage eindeutig. Nach der Wende gab es bereits erste Gebäudesicherungs- und Instandhaltungsmaßnahmen in der Garnison. 1994 erfolgte der Abzug der sowjetischen Truppen aus der Friedensstadt. Josephine Müller erhielt im März die Siedlung vom russischen Generalleutnant Swetkow zurück. Im Juni 1994 bestätigte das Bundesvermögensamt die Eigentumsübergabe.
Seit über 26 Jahren wird die Friedensstadt im Sinne ihres Erbauers wieder aufgebaut. 2020 als das Jahr des 100-jährigen Bestehens sollte von vielen Festen und Veranstaltungen begleitet werden, doch die Pandemie stellte dies auf den Kopf. Vielen ist noch einmal klar geworden, wie segensreich dieses Gemeinwesen gerade in Zeiten der Krise ist, wenn Solidarität und Gemeinsinn aber auch Disziplin im Sich-Fügen in Unvermeidliches das Zusammenleben prägen. Stefan Tzschentke, Oberhaupt der Johannischen Kirche, sagt zum Jubiläum: „Vor 100 Jahren entzündeten Joseph Weißenberg und seine Mitstreiter mit dem Bau der Friedensstadt ein Licht in dunkler Zeit, und alle Stürme der Welt konnten es nicht zum Erlöschen bringen. Heute möchte sich die Friedensstadt einreihen in viele andere Lichtpunkte unseres Landes und unserer Region, die diese heller, bunter, lebenswerter und friedvoller machen wollen.“