Von Siegrun Mauske
Sagen und tun, was man möchte, wie einem ums Herz ist, unabhängig von Vorgaben und Erwartungen anderer, dahinter verbirgt sich ein Freiheitsbedürfnis, denn Einengung bedeutet eine gewisse Unfreiheit. Reformen sind nötig, um aus einer Starrheit herauszuführen – eine Reformation, die mehr denn Revolution bedeutet. Es geht um das Durchdringen von Normen und Vorgaben bis hin zur Liebe Gottes, die dem Leben Ziel und Halt gibt und das Leben in Verantwortung vor Gott leben lässt, auch, in der Freiheit Neues zu erfahren und zuzulassen. Es meint kein Leben, das verantwortungslos und frei von Sorgen ist, sondern eine innere Freiheit, die bestimmend ist.
Was mache ich zum Beispiel mit der mir geschenkten Zeit? Da stehe ich selbst in der Verantwortung gegenüber dem Nächsten und Gott, die mich immer wieder mein Sein mit all dem, was auf mich einwirkt, hinterfragen lässt. Niemand kann das Gewissen des anderen sein, das mich unmittelbar mit Gott verbindet und das tun lässt, was geboten ist.
Jesus, der am Sabbat heilte, der mit Frauen sprach, zum Zöllner ging, hat Grenzen seiner Zeit überschritten. Gottesmänner zu allen Zeiten haben es vorgelebt, menschenfreundlich mit einer vorurteilsfreien Liebe umzugehen, die weit über Normen der jeweiligen Zeit hinausging. In der Liebe Gottes liegt die erneuernde Kraft, wie es das Gebot der Nächstenliebe beschreibt. Und: „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, heißt es im Korintherbrief. Es geht um eine innere Freiheit, die nach außen gelebt wird und frei vom Urteil anderer ist, sich aber mit den Fragen der Zeit auseinandersetzt. Selbst wenn bestimmte Dinge beschränkend oder einengend sind, ist Verantwortung und das Einstehen für die Freiheit des anderen gefragt. Erneuerung, Freiheit und Verantwortung, darum wird es bei einer jeden Reformation gehen.
Reformation wird als eine Erneuerung begriffen, als ein Hinfinden zu den eigentlichen, ursprünglichen Kräften, auch als ein Weg mit der Seele. Es ist die Bereitschaft zur inneren Auseinandersetzung, zur Umkehr und Neubesinnung hin zur Gesundung der Seele. Wir denken gern an den Weg Martin Luthers, der gerungen hat, den gnädigen, gerechten Gott zu finden, und wie man ihm gerecht wird. Er fand die Antwort im Wort Gottes. Auch hier hat er um jedes Wort gekämpft, um es in Reinheit und Wahrheit zu übersetzen und allen als Speise für die Seele zugänglich zu machen. Worte, die helfen wollen, als das Licht auf unserem Weg und der Liebe Raum zu geben. Worte Gottes als Hilfe auf dem Weg des Werdens wollen mit dem Herzen gelesen werden, um dann zu wissen, was vernünftigerweise zu tun ist. Nur das tiefe Bewegen des Wortes, der laufende Umgang damit, dass man es sozusagen umwälzt, lässt uns im Alltag damit etwas anfangen, weil das Wort uns erfasst und in uns etwas in Bewegung bringt. Dies wird ein Licht aufgehen lassen und Herz und Gewissen berühren, hin zu einem gottwohlgefälligen Tun. Darin bin ich frei, um dann das zu tun, was meiner Erkenntnis entspricht.
Der Mensch wird gerecht ohne des Gesetzes Werk, allein durch den Glauben. Man darf auf Gottes Güte vertrauen und muss ihn nicht gnädig stimmen, um als etwas zu gelten. Glauben ist Vertrauen, ich kann mich in Gottes Liebe fallen lassen. Wer Gott vertraut, hat den Segen, auch um in der Welt zu bestehen und sie mitzugestalten. Das eigentliche Ziel ist die Zuwendung zum Nächsten. Aus Dankbarkeit für Gottes Liebe werde ich selbst zu jemandem, der Liebe weitergibt, weil er mein Nächster ist, dem ich Gutes ohne Nebengedanken tue. Das alles meint Luther mit der „Freiheit eines Christenmenschen“, womit er sich intensiv beschäftigt hat. Das ist Ausdruck reformatorischen Geistes, der sich auch in seinen 95 Thesen findet und einen ungeahnten Aufbruch in Gang setzte.
Ich bin also frei vor Gott, frei von Bevormundung oder religiösen Zwängen, denn Gott liebt mich vorbehaltlos. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Es gilt darauf zu setzen, dass Gottes Wort wirkt und dieses auf dem Boden von Gottvertrauen wächst und Frucht bringt, wenn man mutig, klar und mit viel Herz für Ihn einsteht. Es geht um die Freiheit der Gedanken, der Worte, des Geistes. Das darf mich aber nicht verführen, über andere zu herrschen und sie zu unterdrücken. Reformation meint Erneuerung und Veränderung und dennoch Bewahrung. Es geht sozusagen um Wurzeln, die Flügel verleihen. Es ist stets ein sich Hinwenden zu dem, der Liebe ist, ein Weg, der immer neu Weichen stellt, wie einst. Es ist ein immerwährender Prozess, der sich in unserer Zuwendung zum Nächsten, zu Aufgaben, in unserer Liebe zeigt. Es gilt vor Gott nicht, uns zu beweisen, denn irgendein Tun allein ist nicht der Zugang zur Freiheit, zu uns selbst oder zu Gott. Frei sein für etwas taugt – für Gott und für den Nächsten. Und Wahrheiten brauchen Mutige, die sie aussprechen.