Der „Meisterfilm“, früher: „Weißenberg-Film“ hat das gesamte Filmschaffen in der Johannischen Kirche nachhaltig beeinflusst und die emotionale Bandbreite des Mediums der bewegten Bilder erstmals an ein johannisches Publikum herangetragen.
Die Idee
Im Jahre 1928 hatte der Fahrer Joseph Weißenbergs Hans Schermutzki die Idee, bewegte Bilder von Joseph Weißenberg – von Johannes-Christen „Meister“ genannt – festzuhalten. Das hört sich jedoch heute einfacher an, als es damals möglich war. Die Filmtechnik bestand aus schweren Kameras mit Handkurbeln, Schwungmasse, gewichtigen Stativen und feuergefährlichem Nitrofilm. Ein Mitglied der Kirche arbeitete bei einer Berliner Filmgesellschaft und Hans Schermutzki bat ihn um einen fachlichen Rat in dieser Frage. Schon bald kamen zwei Kameramänner, die die besten Aufnahmen des heute bekannten Films erstellten: Großaufnahmen des Meisters, der Meister mit seinem Hund Tasso, der Glauer Hof in der Friedensstadt oder die Innenseite der Hände des Meisters. Da die Herstellungskosten sehr hoch waren, plante Hans Schermutzki einen Kamera-Selbstbau durch das besagte Kirchenmitglied und nutzte durch dessen Betriebszugehörigkeit zur Filmgesellschaft reduzierte Herstellungskosten. Fortan führte Hans Schermutzki Regie und lernte seinen Sohn Hans Müller in diesem Metier frühzeitig an.
Die Anfänge
Vornehmlich wurden als Erstes Aufnahmen bei Festen in der Friedensstadt gemacht, so zum Beispiel die Ankunft des Zuges der Kirchenbanner aus Trebbin, den Joseph Weißenberg in der Friedensstadt übernahm und zum Waldfrieden anführte. Von Zeitzeugen wissen wir, dass an mehreren Stellen auf dem Waldfriedengelände und in der Friedensstadt Geistfreundreden stattfanden, da Lautsprecherübertragungen in dieser Zeit eher zur Seltenheit gehörten. Das Nachmittagsprogramm gestaltete sich bunt mit Tauziehen, Sackhüpfen, den Aufführungen eines Kindertheaters und dem quirligen Leben eines Festtages. Schwierig war es, Aufnahmen vom Meister zu machen. Seine flinke Art zu kommen und zu gehen, stellte das Kamerateam, das nur mit Stativ arbeiten konnte, vor viele Probleme.
Damals wie heute sind Fotografen und Filmende meist Störfaktoren von Andacht und Besinnung. Früher erheblich mehr, da die Filmkameras Lärm durch Rattern und Getöse verursachten. Die Erfindung des Federwerkskinamo ohne Handkurbelbetrieb im Jahre 1929 machte die Aufnahmetechnik handlicher, in der Bedienung flexibler und – leiser.
Die im Aufbau befindliche Friedensstadt war ein geduldiges Aufnahmeobjekt. Da der Kameramann meist nur sonntags in der Friedensstadt sein konnte, wurden die Hausbaustellen immer nur ohne Arbeiter gefilmt. Ausnahmen bildeten eine Filmszene mit einer mit Baumaterial gefüllten Lore und mit querlaufenden Arbeitern, die Bauholz tragen sowie Werkstatt-Sequenzen. Eine weitere Szene zeigt den Viehbestand und die Viehfütterung durch dortige Arbeitskräfte. Auch Feldarbeiten auf den weitläufigen Arealen werden sehr anschaulich dargestellt.
Überraschende Funde
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in den Jahren 2011/12 im Bundesarchiv in Berlin Aufnahmen aus der Friedensstadt auftauchten, die höchstwahrscheinlich in den 1970er-Jahren in eine Insolvenzmasse gerieten. Hans Müller hatte den Meisterfilm in einem Berliner Filmkopierwerk bearbeiten lassen und die Nullkopie wurde vom Kopierwerk wie üblich einbehalten. Das Bundesarchiv hat die Negative des Films 1983 übernommen. Insgesamt sind dadurch mehr Filmaufnahmen aus dem Werkstattbereich, der Landwirtschaft, Aufnahmen aus dem Pumpenhaus, Innenaufnahmen vom Museum, Außenaufnahmen vom Aussichtsrestaurant „Zur Sonne“ und Familienaufnahmen des Meisters zu sehen. Etwa elf Minuten Filmaufnahmen sind so gegenüber dem heutigen johannischen Meisterfilm zusätzlich vorhanden.
Erste Aufführungen
Einem Protokoll vom 24.7.1930 über eine Gemeindeleitersitzung entnehmen wir folgende Ankündigung: „Am Sonntag, dem 27. des Monats findet die erste Filmvorführung des zukünftigen Weißenberg-Films statt.“ Überliefert ist auch, dass der Film öffentlich in Lichtspiel-Theatern gezeigt wurde. Außerdem fanden auch Filmvorführungen in auswärtigen Gemeinden statt, die nicht die Gelegenheit hatten, den Film im Waldfrieden zu sehen.
Der oben bereits Federwerkskinamo, machte den Kameramann flexibler, da die Handkurbel entfiel, und so konnten seitdem Aufnahmen ohne große Hilfsapparatur gemacht werden, zum Beispiel wie der Meister die kleine Schauspielerschar begrüßt, die zum Erntedankfest im Waldfrieden ein Spiel aufführte. Auch die Abfahrt vom Heilinstitut der Friedensstadt nach Berlin und seine Ankunft am Festsaal des Lehrervereinshauses mit der Abnahme eines Spaliers der dort anwesenden Männer durch den Meister sind im Film dokumentiert.
Nach dem Tod von Hans Schermutzki im Jahre 1932 berief Joseph Weißenberg Hans Müller zu seinem Nachfolger im Filmbereich, und so entstanden durch diesen jungen Mann unter anderem Filmbilder des Denkmals des Meisters im Lindenhof und seiner Einweihung, von Kirchentagen, vom Schulgebäude der Friedensstadt und ein Rundblick vom Restaurant „Zur Sonne“ weit in das Land hinein.
Kriegs- und Verbotszeit
Unmittelbar nach dem Kirchenverbot vom 17. Januar 1935 wurde die „Gestapo“ auf den Film aufmerksam und wollte ihn als staatsfeindliches Material beschlagnahmen. Einwände gegen die komplette Beschlagnahme wurden von der „Gestapo“ berücksichtigt, und man wollte tags darauf dann nur Aufnahmen von Joseph Weißenberg und Bilder mit Menschenansammlungen konfiszieren. In einer Nacht- und Nebel-Aktion schnitt Hans Müller so geschickt Negativ- und Positiv-Material sowie Meister- und Massenszenen, dass die Gestapo tags darauf – trotz Prüfung – mit wenig wertvollem Material abzog. So verblieb der komplette Film in Negativ- und Positiv-Abfolge erhalten. Diese Filmsegmente wurden dann auf verschiedene Verstecke bei Kirchenmitgliedern verteilt.
Letzte Aufnahmen und Aufführung des fertigen Films
Als Hans Müller 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, widmete er sich sofort seiner Berufung und konnte alle Filmteile wieder auffinden. Alles hatte den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Weitere Filmaufnahmen aus Privatbesitz aus der Zeit der Verbannung Joseph Weißenbergs in heute polnischen Obernigk beendeten den Film. Diese letzten Filmsequenzen des Meisters zeigen ihn in seiner Wohnung. Im Garten davor sind die letzten Bilder des Meisters mit seiner Familie und seiner Haushälterin entstanden. Mit dem Winken des Meisters aus seinem Wohnzimmerfenster in Obernigk endet der Film.
Am 30. Mai 1949 wurde der zusammengestellte Film Kirchenoberhaupt Frieda Müller und anwesenden Predigern vorgestellt. Hans Müller beschreibt es 1949 in der Kirchenzeitung „Weg und Ziel“ als ein tiefgreifendes Erlebnis nach dem vernichtenden Zweiten Weltkrieg, den Meister, die Friedensstadt und viele Geschwister im Film wiederzusehen.
Die Uraufführung in der Hildegard-Wegscheider-Schule in der Grunewalder Lassenstraße vor der Gemeinde erfolgte stumm, nur von Klaviermusik begleitet. Bis dato wurde der Weißenberg-Film als 35mm-Nitro-Kinofilm mit entsprechend aufwändiger Apparatur und Sicherheitsvorkehrungen vorgeführt. Notfallmaßnahmen und Feuerwehr mussten in Bereitschaft stehen, weil das für feuergefährliche Materialien in der Öffentlichkeit vorgeschrieben war.
Auch deshalb wurde der Film ab 1958 auf 16mm-Azetat-Sicherheitsfilm umkopiert, und gleichzeitig mit dem neuen Filmtitel „Der Meister“ versehen. Ein mitlaufendes Tonbandgerät sorgte für die Tonuntermalung.
Vorführungen in den Gemeinden
Erstmals nach dem Kirchenverbot ging der Film im Spätherbst 1958 wieder auf Tournee, durch die Teilung Deutschlands leider nur durch die westdeutschen johannischen Gemeinden. Für diese Vorführungsreise und den damit verbundenen Aufwand war ein Autoanhänger notwendig. Damit wurden der Projektor, der Film, Lautsprecher, das Tonbandgerät, Verdunkelungsmaterial, Werkzeug und Reserven sowie Unmengen an Kabel transportiert. Und auch der bürokratische Aufwand war enorm, mussten doch Vorführgenehmigungen der Behörden sowie Polizeigenehmigungen eingeholt werden.
Während der Vorführungen des Meisterfilms in den Gemeinden wurde die Dankbarkeit über dieses Filmdokument spürbar. Hier und da gab es auch Wiedersehensfreude, weil sich Geschwister und Freunde im Film wiedererkannten. Ab 1966 wurde der Meisterfilm auch in den Gemeinden der DDR aufgeführt.
1967 ergänzte Hans Müller sein Team mit einem Berufskameramann, der den Meisterfilm mit Standfotos aus dem Wirken Joseph Weißenbergs bereicherte.
Der Meisterfilm heute
1972 wurde der Film in der bis heute bekannten Form im Schmalfilmformat mit Magnettonspur, die mit dem Film verklebt war, uraufgeführt. Das Besondere war, dass das „Große Gebet“ des Meisters in seiner Originalfassung und im Tonoriginal zu hören war. Einer Schallplatte des Johannischen Chores aus den 1950er Jahren ist diese ursprünglich auf einer Wachswalze hergestellten Aufnahme entnommen worden.
In den 1970er Jahren gewann das Super-8-Heimkino immer mehr an Bedeutung und Hans Müller hegte den Wunsch, die westdeutschen Gemeinden mit dem Meisterfilm auszustatten. Zwanzig Kopien wurden hergestellt, die seitdem in deren Besitz sind. Da für dieses Filmmaterial noch keine Tonkopien gezogen werden konnten, wurde in Eigenkonstruktion ein spezieller Schneidetisch konzipiert, der auch die Gemeindefassungen mit dem originalen Filmton ausstattete. Mit mehreren Kopien wollte Hans Müller seinen Verlustängsten aus „Gestapo-Zeiten“ vorbeugen und dieses Filmdokument sichern.
Ähnlich der Speicherfähigkeit durch Mikroverfilmung, die eine Datensicherheit von über 500 Jahren gewährleisten soll, bietet der Meisterfilm in seiner analogen Form eine identische Datensicherheit, denn in 500 Jahren wäre immer noch nur eine Lichtquelle und eine Vergrößerungslinse notwendig, um Teile des Films sichtbar zu machen.
1996 wurde der vorliegende Meisterfilm auf Digitalvideo digitalisiert, Kratzer und Flecken wurden unter anderem dadurch weitgehend eliminiert. Die heutigen Vorführungen sind somit hochauflösend in einem modernen Wiedergabeformat, ganz im Sinne von Hans Müller, dem technischen Fortschritt stets verbunden zu sein.
